Die drei Arten des Bewusstseins: Das Familienbewusstsein

Ob wir eine Zukunft haben werden, hängt nicht von Technologien ab, sondern von unserem Bewusstsein.

Morgen, Mittag, Abend – und natürlich die Nacht, aber da schlafen wir, meistens jedenfalls. Oder aber Frühling, Sommer, Herbst – drei „aktive“ Viertel des Jahres, und dazu der Winter als die Zeit, in der sich die Natur zurückzieht. Osten, Süden, Westen und Norden. Ebenso wie: Kindheit, Erwachsensein, Alter und der Tod. Alle diese Teile des Ganzen bilden jeweils den „Medicin-Circle“: ein uraltes, allgemein gültiges Konzept der zirkulären Entwicklung. Von meinen Lehrern, dem Familienaufsteller Bert Hellinger und dem holländischen Schamanen Daan van Kampenhout, stammen auch die zunächst vielleicht fremd anmutenden Bezeichnungen der vier Phasen des Zyklus: Die Familienseele, die Stammesseele, die Individualseele (ich gebrauche hier lieber den Ausdruck „die essentielle Seele“) und die Große Seele.

Nun fragen Sie vermutlich, was das mit der „Seele“ zu tun hat. Bert Hellinger, der Begründer der Familienaufstellungsmethode, bezeichnete zuerst die Kraft, die ein Familiensystem zusammenhält, als die „Familienseele“. Später sprach er von der „Großen Seele“ als dem Ort, von „wo wir alle hierhergekommen sind und wohin wir nach dem Tod wieder hingehen“. Daan van Kampenhout fügte die beiden weiteren Begriffe der „Stammesseele“ und der „Essentiellen Seele“ hinzu als die weiteren Kräfte, die auch unser Bewusstsein formen. Wie sich das Bewusstsein entwickelt, möchte ich in diesem dreiteiligen Artikel ausführen. Dafür ist zunächst ein Blick auf das Gesamtkonzept hilfreich. Die Grafik zeigt deutlich, wie gut sich der Tages-, Jahres- und der Lebenszyklus übereinander legen lassen.


Aus den vier Abschnitten der zirkulären Entwicklung ergeben sich nun recht verschiedene Aufgaben für unser Leben. Wenn wir lernen, was genau diese Abschnitte bedeuten und wie sich diese voneinander unterscheiden, können wir uns viele der Konflikte ersparen, in die wir sonst wegen des gegenseitigen Nichtverstehens geraten. Vor allem die ersten drei Phasen möchte ich hier erläutern.

Die Familienseele: die Kindheit
Nachdem wir in eine bestimmte Familie hineingeboren wurden, erwacht allmählich auch unser Bewusstsein. Das, was wir um uns herum vorfinden, nämlich die Eltern, die Großeltern und weitere Ahnen, formen in charakteristischer Weise unser Leben. Vor allem aber sind wir während dieser Lebensphase von den uns umgebenden Menschen abhängig. Wir sind darauf angewiesen, dass uns jemand ernährt, behütet, lehrt, dass uns jemand liebt. Auch ist es wichtig – das erfahren wir manchmal sehr heftig während einer Familienaufstellung –, dass unsere Eltern und im Übrigen auch alle anderen Mitglieder unserer Familie unwiderruflich und für immer zu uns gehören, ob es uns passt oder nicht. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als sie zu nehmen.

Während dieser Zeit bildet sich vor allem unser Ich-Bewusstsein heran. Alle Kinder sind selbstbezogen – sozusagen „egoistisch“, und das ist auch richtig so. Schwierig wird es nur, wenn wir in dieser Phase stecken bleiben. Die Hauptaufgabe dieses Abschnitts ist es, nach dem „großen Nichts“, also nach dem Auftauchen aus dem Ozean der großen Seele (dazu siehe den dritten Teil der Serie) die Konzentration nun auf das jetzige Leben zu richten. Die neu zu entdeckende körperliche Existenz verlangt von dem Kind, dass es seine Grenzen kennenlernt und sie festigt. Damit verbunden sind auch etlichen Ängste und Gefahren, durch welche es hindurchgeht. Häufig verlangen Kinder zum Beispiel beim Einschlafen eine kleine Lichtquelle – denn die Dunkelheit erschreckt sie, zieht sie zurück in etwas, das sie gerade verlassen haben. Dabei ähneln Kinder den früheren Menschen, für welche das Chaos so bedrohlich war, dass sie es in ihren Mythen und Sagen mit den negativen, zersetzenden und dunkeln Kräften assoziiert haben. Man erinnere sich nur an die Mythen vom Kampf Horus‘ gegen Seth oder der Olymp-Götter gegen die Titanen.

Diesem Bewusstsein ist auch die Vergöttlichung und Anbetung der Bezugsperson(en) eigen. Bisweilen höre ich in meinen Beziehungsseminaren, dass ein Partner für den Klienten „der oder die Einzige“ ist. Das kann ein Hinweis dafür sein, dass es sich hier um die sogenannte abhängige Liebe handelt, die Liebe, die in einer reifen Beziehung eigentlich nichts zu suchen hat. Doch auf dem Gebiet der Familienseele sind unsere Eltern wirklich „die Einzigen“, denn wir haben keinen anderen Vater und keine andere Mutter. Und für das kleine Kind stellen sie auch tatsächlich so etwas wie die „allmächtige Götter“ dar – ohne sie wäre das Kind nicht in die Existenz gekommen.

Diese Art des Bewusstseins ist also nicht nur ich-bezogen, sondern auch magisch – und im Unterschied zu manch einem Psychologen meine ich dies in keinster Weise abwertend. Im Gegenteil: es ist schade, dass wir durch unsere weitere Entwicklung häufig die Fähigkeit zu magischem Denken verlieren. Nur Dichter, Fantasten, Träumer und Schamanen oder Magier bewahren sich diese Macht und behalten das Gute daran als ein nützliches Werkzeug auf dem weiteren Weg. Wohin dieser Weg führt, davon handeln die nächsten Teile der Artikelreihe.

Kommentare

  1. Deine Worte, Jan-Bily, wirken auf mich, wie eine Einladung...sie erinnern mich an Oriah Mountain Dreamer...ich freue mich schon auf deine weiteren Artikel...

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Danke für Ihren Kommentar. Da ich ihn "bewilligen" muss, kann die Veröffentlichung einige Tage dauern. Jan Bily

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