Schulden

Der dritte Teil einer Artikelreihe über Finanzen.

„Wenn du Freunde verlieren willst, leihe ihnen Geld“, heißt es. Oder auch: „Wenn du jemandem Geld gibst, rechne mit einem Messer im Rücken.“

Das zweite Sprichwort, ich gebe es zu, ist frei erfunden, beruht aber auf meinen Beobachtungen in Aufstellungen zu diesem Thema. Geld ist eine Form hochkonzentrierter Energie, und nicht jeder vermag damit umzugehen. Nur wenige sind bereit zu erkennen, was sich hinter einer Schuldenaufnahme oder hinter einem Geldgeschenk an eine außerhalb des Familiensystems stehende Person tatsächlich verbirgt. Daher möchte ich einen Blick darauf werfen, wie sich Schulden oder aber die Gläubiger-Rolle auf unser Wohlbefinden auswirken.

Im Hinblick auf „Schulden“ ist Deutsch eine recht geniale Sprache – da sich die beiden Begriffe, die meiner Erfahrung nach viel miteinander gemeinsam haben, auch sprachlich kaum voneinander unterscheiden: „die Schulden“ und „die Schuld“. In den Geld-Aufstellungen sehen wir, wie eng beide miteinander verwoben sind. Besonders deutlich wurde dies in einer Aufstellung, die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer Verschuldung des Klienten und einer Villa aufzeigte, die seine Vorfahren während der NS-Zeit von den Nazis erhalten hatten. Die Villa gehörte ursprünglich einer deportierten jüdischen Familie, und der Klient war – wie sich erst nach der Aufstellung herausstellte – bei einer Bank verschuldet, die jüdische Gründer hatte. Hier wird offensichtlich: Die Familie trägt eine nicht getilgte Schuld, die durch die Schuldenaufnahme des Klienten (unbewusst) ausgeglichen wird. Bereits durch die Arbeit Bert Hellingers wurde klar, wie durch das Unrecht die jüdischen Voreigentümer Teil des Systems des Klienten wurden*.

In der Aufstellungspraxis sehen wir häufig, dass ‚das Familienvermögen‘ oder Geld schlechthin eine systemverbindende Rolle spielt. Ähnlich, wie Bert Hellinger das „Gewissen“ als die Macht definiert hat, die eine Familie (und jedes andere System) zusammenhält, kommt auch dem Familienvermögen eine systemerhaltende Aufgabe zu. Was auch immer damit passiert, verlangt eine Ehrung sowie die Anerkennung einer eventuellen Schuld. Das war fast allen früheren Kulturen bekannt: Falls ich bewusst oder versehentlich einem anderen System (einer Familie, einem Klan, einem Unternehmen) Schaden zufüge, so muss für einen Ausgleich gesorgt werden – und sei es durch Zahlung von zwölf Kamelen, die ich für einen von mir verschuldeten Unfalltod eines ihrer Angehörigen bezahle.

Das erklärt auch unsere „modernen“ Schulden: hinter fast jeder Verschuldung findet sich eine verborgene Schuld eines Systemmitglieds. Heilung erfahren wir in diesen Fällen vor allem durch Anerkennung dieser Schuld und einem anschließenden Ritual, in welchem wir sowohl den Tätern als auch den Opfern „einen Platz in unserem Herzen“ geben.

Doch wie stellt sich die Situation dar, wenn wir Geld spenden, ohne Erwartung einer Gegenleistung? Hier reagiert das Unterbewusstsein kompliziert und raffiniert. Wenn ich jemandem außerhalb meines Systems Geld zuwende, so wird sein Systembewusstsein davon ausgehen, dass ich etwas ausgleiche, dass ich eine „Schuld“ ab-trage. Zugleich muss und will er mir auf der bewussten Ebene für das Geld dankbar sein. Dies erzeugt eine große Spannung, die häufig durch eine grundsätzliche Ablehnung oder Verdächtigung zum Ausdruck kommt. Wenn ihm die Zusammenhänge nicht klar sind, reagiert der Schuldner verärgert. Seine negativen Gefühle verstärken sich weiter dadurch, dass der Gebende (oder Verzeihende) den Geld- oder Verzeihung-Nehmenden kleiner macht. Der Bedachte gerät in eine nur schwer zu ertragende Lage und wird versuchen, wieder „größer“ zu werden: etwa durch ein Nicht-Annehmen von Ratschlägen oder durch eine Nichteinhaltung von Vorgaben, Gesetzen usw.** Dies entspricht, nebenbei bemerkt, exakt der Lage und Haltung von Griechenland oder einiger Ost-Länder, die alle zu den Netto-Aufnahmeländern zählen, gegenüber der EU.

Noch extremer kann sich die Situation bei einem Darlehen gestalten. Im Unterbewusstsein des Darlehensnehmers mag sich ein völlig „unlogischer“ und vor allem unbewusster Dialog entwickeln: Er hat mir Geld gegeben… Er hat also etwas Schlimmes getan… Ich weiß zwar nicht, was – aber das geht in Ordnung, da er es wohl ausgeglichen hat… Doch nun soll ich ihm das Geld zurückgeben… Aber warum?... Habe ich ihm etwas getan?... Wohl nicht!... Wofür also soll ich bezahlen?... Fühle ich eine Schuld?... Und falls nicht, sollte ich ihm etwas antun, um sie zu fühlen?

Viele Leser mögen dies als an den Haaren herbei gezogen empfinden oder fragen, ob wir also überhaupt niemandem Geld geben oder verleihen sollten. So ist es natürlich nicht gemeint. Doch die Aufstellungen zeigen, dass solche Abläufe tatsächlich stattfinden können; daher ist es meines Erachtens auch notwendig, die Möglichkeit einer solchen Reaktion auf „gut gemeintes Tun“ in Erwägung zu ziehen. Nur so können wir eine bittere Enttäuschung vermeiden und uns für den Fall, dass wir Schulden machen oder Geld geben, bewusst auseinandersetzen mit dem, was tief in unserer Seele vorgeht.

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* Im Familiensystem haben nicht nur unsere „genetischen“ Vorfahren einen Platz, sondern auch alle diejenigen, die durch unser System einen großen Verlust erfuhren oder welche unserem System erheblichen Verlust zugefügt haben. Unter Verlust verstehen wir zum Beispiel den Verlust des Lebens, der Position oder erheblichen Eigentums.
** Die Ausnahmen bilden hier unsere Vorfahren: sie sind „größer“ (da sie uns das Leben gaben), aber wir können ihre Leistung nicht ausgleichen – es sei denn durch die Weitergabe an unsere Kinder, Schüler oder andere, um die wir uns kümmern.
Geldseminare in D: www.janbily.de


Kommentare

  1. Ein sehr schöner Artikel. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich ein Gefälle schaffe, wenn ich Geld gebe, und ich kenne solche Reaktionen sehr gut. Anfangs sagte ich mir deshalb: ich verleihe nie wieder Geld an Freunde. Später bin ich dazu übergegangen, es not-falls eher zu verschenken als zu verleihen. Das macht das Gefälle wahrscheinlich zwar noch größer, aber zumindest kann ich selbst für mich die Erwartungen loslassen und Enttäuschungen vermeiden, ob und wann und wieso eigentlich jetzt nicht die Rückzahlung erfolgt. Mir hat es geholfen zu sagen: ich tue, was ich für richtig halte, und dann lass ich es soweit als möglich los, denn ich bin nur für mein eigenes Handeln verantwortlich. Die Bedürftigkeit ist ja oft genug nicht nur eine finanzielle. Die systemische Komponente dabei war mir allerdings nicht so klar, wenngleich es logisch ist, sobald man nur mal die in Familien häufige Erb-Auseinandersetzungen betrachtet und der oft dahinter steckende emotionale Mangel. Aber wie ist das Geben denn dann aus systemischer Sicht? Will mein Unterbewusstsein, wenn ich gebe, auch stets eine Schuld ausgleichen? Eigentlich wollte ich ja davon wegkommen, mich bei jedem Impuls zu fragen, ob das jetzt verkehrt ist….

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    1. Geben macht Freude...ich lebe um zu geben...Mein ganzes Leben ist eine einzigartige Hingabe...Geben macht einfach froh...und nehmen ebenso...Elvira

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Danke für Ihren Kommentar. Da ich ihn "bewilligen" muss, kann die Veröffentlichung einige Tage dauern. Jan Bily

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